Zwerg „Hühmännche“ vom Hellersberg

Eine Brohler Sage, mit dem Wortschatz von Werner Fußhöller überliefert und erschienen im Bad Breisiger Fenster Ausg. 39/2007

In den 1950er Jahren geschah es, dass der damalige von mir hoch geschätzte Lehrer an der Brohler Volksschule Ernst Kindler aus Anlaß einer Boots-Taufe der Brohler Kanuten die Geschichte um die Figur des „Hühmännche“ in launigen Worten niederschrieb. Es ging sehr feierlich bei der Bootstaufe dieses ersten Renn-Kajaks zu. Die Namensgebung wurde mit klarem Quellwasser der „Hühmännche“ Quelle aus einem silbernen Pokal vollzogen. Wie ich mich noch zu erinnern weiß, hatte der schnittige Kajak vieles mit den Tücken des Koboldes der Brohler Berge gemeinsam. Heute erinnert ein Brunnenstein mit der Figur des „Hühmännche“ als Kopffigur auf dem Kirchplatz an die Sagengestalt vom Hellersberg.

Ein ortsansässiger Stammtisch hat so vor einigen Jahren einen Teil Brohler Ortsgeschichte wieder lebendig werden lassen. Die in der Stein- und Bildhauerei Netz-Hardy entstandene Basalt-Säule dient heute mit seiner Brunnenfassung gleichzeitig zur Verschönerung des Ortsbildes.

„Hühmännche“-Brunnen am Brohler Kirchplatz

Wenn auch Ernst Kindler im nachfolgenden Bericht das Zwergenvolk als „das stille Volk“ bezeichnet, hat sich in Brohl in den letzten Jahren der Zwerg zu einem recht regen, leibhaftigen Wesen entwickelt. In der Person von Johannes Porz brachte der Zwerg hauptsächlich in der karnevalistischen Jahreszeit viel Hohn und Spott über die närrischen Untertanen.

Lassen wir uns nun an diesem alten Bericht über das Sagengut unserer Heimat ergötzen. „Hühmännche“ ist der Sage nach ein Zwerg der Brohler Berge. Bekanntlich tragen in unserer rheinischen Heimat noch heute mancherlei Quellen und Brünnlein, Felsen, Schluchten und Höhlen, wo Zwerge gewohnt und gehaust, und Plätze des Waldes, auf denen sie sich getummelt haben, ihren zauberhaften Namen. Dieses wunderliche Zwergenvolk der Berge ist von Fleisch und Bein wie wir Menschen, allein es hat die Gabe, sich unsichtbar zu machen und durch Fels und Mauer ebenso leicht zu gehen, wie wir durch Luft, die uns umgibt. Hat das Zwergenvolk irgendetwas oben auf der Erde zu verrichten, so wird dies nicht am Tag, sondern bei Nacht, Nebel oder Dämmerung vorgenommen. Man nennt das Zwergenvolk auch „das stille Volk“.

Die Zwerge sind im Allgemeinen schweigsam, gutmütig und guttätig. Sie helfen und dienen den Menschen gern, die Ihnen gefallen. Geschieht Ihnen jedoch ein Leid, so können sie sehr zornig werden. Doch lassen sie ihren Zorn meist nicht an Menschen aus, sondern rächen sich lieber am Vieh, das sie mit Vergnügen plagen. Mit den Zwergen verwandt sind die anders gearteten Kobolde, meist neckische, auch dienstfertige Berg- und Hauswesen. Zwerge und Kobolde haben von ihren Wohnungen in den Felsen und Bergen weit verzweigte unterirdische Gänge, durch die sie in die Dörfer und Höfe, Herrenhäuser und Burgen gelangen. Aus- und Eingänge haben sie auch bei und in Brunnen und Quellen.

Zwerg „Hühmännche“ hatte vieles von beiden, vom „stillen Volk“ der Zwerge und von den lebhaften Kobolden, in sich vereinigt. Vor uralten Zeiten lebte er auf der ehemaligen alten Burg und Veste Brule, der späteren Hellersburg am Hellersberge bei Brohl am Rhein, da wo das heutige Schloß Brohleck steht.

„Schloß Brohleck“, 1891 auf Reste und Trümmer einer alten Burganlage erbaut. Hier hauste der Sage nach Zwerg „Hühmännche“ vom Hellersberg.

Das stets dienstfertige und hilfsbereite Wesen hatte jedoch wegen seiner Missgestalt von den Bewohnern der Burg insbesondere aber von der spottlustigen Dienerschaft sehr viel zu leiden. Dies verleidete ihm das Burgleben auf die Dauer gänzlich. Um dem Spott und Hohn der Menschen zu entgehen, entschloss er sich gezwungenermaßen, mit ihnen ganz und gar zu brechen. In den unterirdischen Gängen und Gewölben, welche die untere Burg mit der oberen verbanden und heute zum Teil noch bestehen, verbarg er sich vor ihnen. Hier, wo er ein einsames und menschenscheues Leben führte, verwandelte sich sein früheres menschenfreundliches Wesen vollkommen: er hasste die Menschen und suchte ihnen auf jede nur erdenkliche Art und Weise zu schaden. Oft blieb es auch nur bei einem Schabernack. Es machte ihm eine höllische Freude, wenn er Bewohnern von Brohl oder der Nachbarorte einen Streich spielen konnte. Viele dieser „Hühmännche-Geschichten“ gehen heute noch um im Volksmunde unserer Gegend.

Nicht weit von der Burg steht am Hellersberg ein alter Heckenrosenstrauch, heute noch die „Hühheck“ genannt. In der Nähe der „Hühheck“ entspringt dem Berge eine Quelle, die so genannte „Hühmännche-Quelle“, die jedoch vom Volksmunde auch noch mit einem anderen Namen bedacht wurde. In dieser Quelle soll der Zwerg einen Aus- und Eingang gehabt haben.

An warmen Sommerabenden versteckte sich „Hühmännche“ gerne hinter der „Hühheck“. Kamen dann am späten Abend die Lützinger von ihrer Arbeit in Brohl zurück den Berg hinan gestiegen, suchte er sich meist denjenigen aus, dem der damalige Brohler Rheinwein zu gut geschmeckt hatte. Kam dieser nun in seinem berauschten Zustand dahergetorkelt, ließ er ihn erst noch an der „Hühheck“ vorbeistolpern. Dann sprang er ihm unversehens auf den Rücken, schüttelte und rüttelte ihn so lange, bis er zur Erde fiel und den Hang hinunterkollerte. Hier ließ „Hüh-männche“ ihn liegen und seinen Rausch ausschlafen, bis ihn die Morgensonne weckte. Oft auch fanden Leute, die am frühen Morgen von Lützingen hinab nach Brohl zur Arbeit gingen, einen solchen Schläfer, der dann die bittere Wahrheit des Sprichwortes kosten musste: „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen!“

Waren die duftenden Heckenrosen des Sommers verblüht und leuchteten aus dem herbstlichen Laub der „Hühheck“ unzählige purpurrote Beeren hervor, dann hielt es den Zwerg erst recht nicht in seiner unterirdischen Wohnung. Wieder entstieg er dem Hellersberge durch die „Hühmännche-Quell“ und wartete, versteckt hinter der zum Hagebuttenstrauch gewordenen „Hühheck“ auf die Abenddämmerung. Kamen die Brohler leicht angeheitert und singend von der Lützinger Kirmes den Berg hinab, rieb sich „Hühmännche“ aus Vorfreude über seine kommenden Streiche die Hände und konnte ein Kichern nur mit Mühe unterdrücken. Der zur Lützinger Kirmes frisch gekelterte süße Apfelmost hatte es den jungen Burschen bereits angetan. Sobald sie in die Nähe der „Hühheck“ kamen, war die Zeit des verschlagenen, listenreichen Kobolds gekommen. Schnell zündete er ein Irrlicht an und hielt es den Nichtsahnenden unvermutet entgegen. Geblendet taumelten sie in die „Hühheck“ hinein und zerrissen sich ganz erbärmlich Gesicht, Hände und Kleider an den spitzen Dornen.

Aber noch andere Überraschungen hielt „Hühmännche“ für die beschwipsten Kirmesbesucher bereit. Da wo das abfließende Wasser der „Hühmännche-Quell“ einen größeren Tümpel bildet, hatte der Zwerg einige große Steine aufgehäuft. Mancher, vom Irrlicht Geblendeter oder vom Dornengestrüpp Zerstochene fiel stolpernd mitten in das kalte Wasser. Hatte „Hühmännche“ jedoch noch keine Zeit gefunden, die Steine aufzuschichten, so steckte er dem Nichtsahnenden schnell einen Ast zwischen die unsicheren Beine, so dass er kopfüber in der Lache landete. Auch wird erzählt, dass „Hühmännche“ tiefe Menschenfallen in den Weg gegraben habe. Zu diesem Zweck hatte er sich heimlich und unbemerkt in der Burg einen Spaten „besorgt“. Die Löcher überdeckte er mit dem belaubten Reisig.

Dann leitete er den Abfluss der „Hühmännche-Quell“ in diese Fallen, bis sie fast mit Wasser gefüllt waren. Auch hierin soll manch einer wieder zu sich gekommen sein, denn die Löcher waren tief und steil, und ohne fremde Hilfe gelang es einem kaum, sich daraus zu befreien.

Da alle diese Streiche erst geschahen, nachdem der Zwerg sich nicht mehr vor den Augen der Bewohner hatte blicken lassen, ahnte man wohl, dass er der nächtliche Störenfried war. Man suchte eifrig nach ihm, um seiner habhaft zu werden, doch bekam ihn nie wieder einer je zu Gesicht. Nur sein schallendes, schadenfrohes, höhnisches Gelächter, dessen Echo sich in den Bergen vielfältig brach, konnte man nach jedem seiner geglückten Streiche im nahen Walde hören, wo es sich mit dem Geschrei der Nachteulen und Käutze zu schaurigen Tönen vermischte.

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