Ich verkaufe nicht an Juden

Zeitzeugenbericht
von Hans Mannheim sen. *1901 +1992

Ich verkaufe nicht an Juden! So hieß es auf einem Zettel, der hier in Brohl an alle Geschäftsleute verteilt wurde mit der Forderung, denselben ins Schaufenster zu hängen. Ich kam aus dem Garten und fand den Zettel auf unserem Küchenschrank. „Was ist denn hiermit?“, frug ich meine Frau, die bald aus dem Laden in die Küche kam. „Ja, den hat der und der gebracht.“ Ich machte die Ofentür auf, und schon war er verschwunden. „Das war ja sehr einfach“, bemerkte meine Frau, „aber was mache ich, wenn danach gefragt wird?“ Ja, das war jetzt die Frage, sie hatte recht. Nach einer Weile sagte ich: „Sollten sie kommen und nach dem Zettel fragen, dann sage ihnen, unsere Kinder hätten damit gespielt, sie sollten einen neuen bringen.“ Aber es ging gut, es kam niemand.

Wir kannten etliche jüdische Familien aus Niederzissen. Ein Mann, Herr Berger, musste hier bei einem Bauunternehmer arbeiten, der kam dann auch immer in den Laden und kaufte hier Sachen ein, die er in der Woche benötigte. Als nun überall in den Geschäften die Zettel aushingen, da kam Herr Berger und meinte, um Ungelegenheiten aus dem Wege zu gehen, würde er in Zukunft seine Einkaufsnotizen schnell im Laden abgeben, und unser Sohn Hans sollte dann die Ware an den Brohltalbahnhof bringen, von dort aus fuhr er ja heim; was von da an immer so geschah.

Hier in Brohl wohnte nur eine jüdische Familie, Albert Feit. Dieselbe hatte eine Tochter, Friedchen. Die musste ihr Haus hier verkaufen und zog wieder nach Oberbreisig, von dort aus war sie auch gekommen. Wir sprachen abends darüber, ob auch sie genügend zu essen hätten usw. „Morgen fahre ich per Rad dorthin“, bemerkte meine Frau. Sie kaufte einiges ein, das andere holte sie aus dem Laden und fuhr per Rad nach Oberbreisig. Als sie bei Veits den Rucksack auspackte und Veits jetzt sahen, worum es sich handelte, da waren sie gerührt und dankbar für ihren Besuch. Sie bemerkten aber sofort, sie litten keine Not, sondern in Oberbreisig könnten sie kaufen, was sie wollten. „Oberbreisig“, bemerkte Albert, „lässt uns nicht verderben, davor haben wir keine Angst.“

Jedoch ihr Hierbleiben sollte nicht allzu lange dauern. Am 9. November 1938 ging ich in den Wald und musste auf dem Weg dorthin am Fuggersberg vorbei. Wir wohnten damals noch im Dorf in Brohl. Als ich aber am Drese Pitter vorbei kam, stand er an seinem Gartenzaun und schaute über den Rhein nach Rheinbrohl. Er winkte mir zu, auch an den Zaun zu kommen. Er tat geheimnisvoll und schaute sich links und rechts um, denn er wohnte neben dem Bürgermeister von Brohl. Er sprach leise: „Siehst du dort drüben neben der Post den Qualm aufsteigen?“ „Ja“, bemerkte ich. „Da haben sie in dieser Nacht die Synagoge niedergebrannt.“ „Ist das wahr, Pitter?“ „Ja!“

Als ich dann mittags nach Hause kam, da erzählten die Leute davon und dass viele Juden Furchtbares erlebt hätten in der Nacht; dass es sogar Tote gegeben hätte, konnte man später hören. Es war die Kristallnacht, so wurde die Nacht vom 9. November später genannt. Die Wohnungen der Juden wurden demoliert, ihr Hab und Gut auf die Straße geworfen. Ein Brohler Spediteur wurde in Bonn gezwungen, mit seinem Lastwagen über die Sarka (Thora ?) zu fahren, die Polizei und Feuerwehr rührten sich nicht, sondern sahen zu. Alles war an diesem Tag von den Henkersknechten organisiert (…)

Im Sommer 1942 hieß es hier, alle Juden aus dem unteren Kreis Ahrweiler und dem Brohltal werden hier in Brohl auf die Burg gebracht, denn dieselbe gehörte damals dem Staat. Und tatsächlich, es dauerte nicht allzulange, und die ersten Familien kamen, auch unsere Bekannten aus Niederzissen. Alte Leute oder Kranke kamen per Fuhrwerk. Bald füllten sich die Räume auf der Burg. Eines Sonntags, als wir des Morgens die Bittprozession nach Bruchhausen gemacht hatten, sagte meine Frau, Herr Berger sei des Morgens zu ihr gekommen und hätte geweint, ob ich nicht einmal zu ihnen auf die Burg kommen könnte? Sofort machte ich mich auf den Weg. Ich traf im Hofe ein ganzes Teil Zissener Juden. Es gab nach meiner Erinnerung mindestens vier Familien Berger in Zissen. Alle waren niedergeschlagen und traurig, sie sprachen im einzelnen von ihrer Vernichtung in Theresienstadt. Ich konnte es kaum glauben, aber warum sammelte man die Juden, warum mussten sie ihr Vermögen alle für wenig Geld verkaufen? Wir sprachen über Leid, vor allem über die Brutalität der Nazis und über manches andere. Ich war überzeugt, dass fast alle wussten, was ihnen bevorstand. Ich nahm Abschied von ihnen, sie wollten mir noch einige Sachen mitgeben, ich wollte aber nicht; aber eine Milchkanne und eine Tischdecke musste ich nehmen. Sie gingen ihrem Schicksal entgegen (…)
Eines Tages hieß es: „Heute Mittag kommt der Sonderzug, um die Juden abzutransportieren.“ Ich war auf der Brücke der Brohltalbahn, von hier aus konnte ich den ganzen Vorgang auf dem Bahnhofsgelände beobachten. Einige Wochen später traf ich Frau Freitag, die oben bei der Burg wohnte, sie musste täglich dorthin, weil sie ihre Geißen dort oben im Stall hatte. Sie sagte damals: „Herr Mannheim, das Weinen und Klagen dort oben war erschütternd und Herz erweichend für den, der es hören konnte in den alten Mauern der Burg … Das Geschrei war grauenhaft, es ging einem durch Mark und Bein (…)“

Transkribiert von Günter Haffke für das HJB Kreis AW 2018

Gedenktafel in Brohl für die Familie Feit, Brohl-Lützing, Josef-Leusch-Str.

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