Das Inflationsjahr 1923

Das Jahr 1923 war geprägt von einer Inflation von beispiellosem Ausmaß, welche im zweiten Halbjahr in die Endphase ging. Auch wenn Heute sich die Lebenshaltungskosten auch in den letzten Monaten stets nach oben bewegten, sind die politischen Umstände von damals mit den von heute nicht zu vergleichen.

Folgt man dem Protokoll-Buch der St. Matthias-Schützengesellschaft, so ist hier zu entnehmen, dass man 1922 einen neuen Jahresbeitrag in Höhe von 750 Mark beschloss. Eine Summe, auch wenn wir heute in Euro rechnen, wovon jeder Vereins-Kassenwart nur träumen kann, sei es auch nur ein Teilbetrag. Trotz dieser horrenden Summe erlaubte man sich zum Patronatsfest noch ein Festessen, welches die Gesellschaft für 1400 Mark bei Schützenbruder Schlich im ehemaligen Hotel Mittler orderte. Da jedoch der Wirt bereits die Zeichen der Zeit erkannt hatte, vereinbarte er eine Preisanpassungsklausel, um nicht dem Währungsverfall ausgesetzt zu sein.

Was führte zu der stetig steigenden Geldentwertung?

Zu Beginn des 1. Weltkrieges waren es die mit einer nationalen Begeisterung getragenen Kriegsanleihen. Und nach dem verlorenen Krieg zwangen uns die mit dem Versailler Vertrag 1919 eingegangenen Reparationsleistungen an die Siegermächte zu Zahlungen in Goldmark oder Sachgütern. Frankreich nutzte die Zahlungsforderungen wohl reichlich aus, um so die nach dem verlorenen Krieg 1870/71 ans Deutsche Reich geleisteten Reparationen zurückzuerlangen.

Des Weiteren führte die weltweite Wirtschaftskrise in den Jahren 1922/23 dazu, dass die deutsche Reichsregierung sich nicht mehr in der Lage sah, den Forderungen nachzukommen. Selbst der Ausgleich in Ersatzleistungen in Form von Ruhr-Kohle sollte nicht ausreichen. Die Siegermächte sahen bei den verspäteten Reparationsleistungen eine Sabotage, und so kam es zur militärischen Besetzung des Ruhr-Gebietes durch frz. und belgische Militär.

Und im Rheinland bemächtigte sich die Separatisten-Bewegung, mit Duldung der frz. Besatzer, die Macht an sich zu reißen. Es war jedoch nur ein kurzes Aufflackern, was jedoch für Brohl mit schlimmen Folgen enden sollte. Am 9. November 1923 mussten so die Mitbürger Gabriel Hommen sen., Gabriel Hommen jun. und Josef Patron bei einem Überfall der Freischärler ihr Leben lassen.

Der passive Widerstand gegen die militärischen Besatzer bewegte die Reichsregierung dazu, finanzielle Hilfe zu gewähren. Finanziell und wirtschaftlich stand die Regierung mit dem Rücken zur Wand. Nach Abwägung verschiedener Möglichkeiten sah man in dem Weg, mehr Geld in Umlauf zu bringen, die weniger dramatische Lösung. Man sah zusätzlich in einer Inflation und dem Werteverlust eine Abminderung der unerfüllbaren Forderungen. Man warf die Notenpressen an und die Tagesproduktion stieg mit Beginn des Jahres 1923 von anfangs 35 Milliarden auf 43 Milliarden Papiergeld.

Im Laufe des Monats Februar 1923 wurde die Produktion auf täglich !! 75 Milliarden Mark gesteigert. Da die Reichsbank und die Reichsdruckerei diese riesigen Mengen an Geldscheinen nicht selbst herstellen konnten beschäftigte man noch 33 Druckereien und 12 Papierfabriken zusätzlich. In der Hochphase der Inflation, im September 1923, waren es bis zu 133 Druckereien mit fast 1800 Druckerpressen. Um der Geschwindigkeit der galoppierenden Inflation nachzukommen, wurden die Geldnoten nur noch einseitig bedruckt. Auf dem Höhepunkt der Inflation behalf man sich mit Stempelaufdrucken. Dieser rasche Werteverlust spürte man auch bei der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten. Folgt man den Aufzeichnungen des „Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich 1924/1925“ beliefen sich die durchschnittlichen Ladenpreise für versch. Grundnahrungsmittel wie folgt.

Preise in Mark.

                                            1913/14              23.07.1923         24.09.1923

1 kg Roggenbrot                    0,38                      17.000              16.270.000

1 kg Butter                             2,60                    140.000            200.000.000

1 Liter Milch                           0,22                      10.800                5.200.000

1 kg Kartoffel                         0,09                      11.000                4.000.000.

1 kg Schweinefleisch             1,65                    160.200            168.000.000

Fazit: Die täglich, ja stündlich wachsende Wertangabe stand im krassen Gegensatz zur Kaufkraft. Für Viele blieb es ein Ende mit Schrecken. Vermögenswerte, welche man über Generationen geschaffen hatte, waren weitgehend nichts mehr Wert.

Auch für die Philatelisten ist die ständige Erhöhung des Briefportos und mit der Markenvielfalt heute ein recht interessantes Sammlerfeld. Jeder hatte es eilig, das Papiergeld möglichst schnell in Ware umzusetzen.

Hierzu eine Episode:

Eines Tages stand der Brohler Unternehmer und Hauptmann der Gesellschaft Anton Bröhl in seinem Vorgarten an der Koblenzer Straße und es kam ihm sein Vetter Georg Büntgen mit einem Koffer entgegen.

Auf die Frage: „Schorsch, bo wells dau dann met dem Koffe hin“ antwortet G.B.: „Ei Antun, esch fahre no Kölle, ich well für dat Jeld em Koffe noch wat kafe.“ A.B. antwortet: „Schorsch, spar dir dat Fahrjeld, wenn dau en Kölle anküss es et nix mi weart.“ Georg ließ sich jedoch von seinem Vorhaben nicht abbringen.

Einige Tage später, als man sich wieder über den Weg lief, antwortete Georg etwas kleinlaut: „Antun, dau häss doch Rech jehatt.“

Dies erklärt nachhaltig die Geschwindigkeit der Geldentwertung. Auch sollte dieses auch bei der Schützengesellschaft nicht Halt machen. Es war so nicht verwunderlich, dass man Ende des Jahres 1923 rückwirkend den Jahresbeitrag auf 3 Billionen Mark!! (eine Zahl mit 12 Nullen) oder 3 Goldstücke pro Schütze beschloss. Unter diesem Gesichtspunkt war 1923 an ein Königsschießen nicht zu denken. Auch war mit den Einnahmen aus der Mahd des Grasaufwuchses, hierfür zahlte Schützenbruder Peter Dres 75000 Mark, und für die Obsternte auf dem Schützengelände, wofür Nikolaus Dötsch 5 Millionen Mark in die Vereinskasse zahlte, kein großer Staat zu machen.

Um jedoch den Wertverfall zumindest in den Städten und Orten entgegenzuwirken, druckte man ein sogenanntes „Notgeld“. Somit hatte die leidgeplagte Arbeiterschaft, zumindest örtlich, eine feste Verrechnungseinheit. In Niederbreisig führte man so Ende Oktober 1923 zur Entlohnung der Arbeiter ein Notgeld ein. Hierzu hieß es in der Gemeindeakte beim LHA Koblenz: „Die Gemeinde Niederbreisig gab auf Druck der stürmenden Arbeiterschaft eigenes Notgeld aus.“ In der Gemeinde Brohl gab es seitens der Gemeindekasse einen „Lohnscheck“, welcher auf schlichtem Packpapier bei der Druckerei Simons in Sinzig gedruckt wurde.

Die Schecks trugen neben dem amtlichen Siegel die Unterschrift des langjährigen Gemeindevorstehers Christian Alexander Nonn und die des Beigeordneten der Amtsverwaltung, Dinget. Um auch hier der fortschreitenden Entwertung nachzukommen, half man sich mit einem Stempelaufdruck. Der Spuk der Inflation endete im November 1923, nachdem die Monate vorher die Reichsbank gedrängt wurde auch eine neue Reichsmark zu verausgaben. Dabei wurde der Wert einer Rentenmark mit einer Billion Papiergeld festgelegt.

Bleibt nur zu hoffen, dass wir nach 100 Jahren von solchen Zuständen verschont bleiben und der Euro-Rettungsschirm uns von so einem Scenario abhält.

Werner Fußhöller   Im August 2023

Der Bericht erschien erstmals im „Blick Bad Breisig“ Ausgabe 12/2013.

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